Philosophie
Es geht um die Gebrauchsanweisung, die verlorengegangene. Kaum einer weiß es noch, dass sich früher, als die Babys noch vom Klapperstorch aus dem Seerosenteich heraus behutsam durch den Kamin ins Haus der erwartungsfrohen Eltern herabgelassen wurden, sich am linken großen Zeh ein Zettel mit Namen und Gebrauchsanweisung befand. Die Kirche stand noch mitten im Dorf und mit zwölf bzw. vierzehn Jahren wurde als Update im Katechumenen- oder Konfirmandenunterricht der Katechismus auswendig gelernt. Wer Müller hieß wurde auch Müller, wer Schumacher hieß wurde Schumacher. Die Welt war noch in Ordnung, wenigstens größtenteils.
Nun, in der Hektik der modernen Welt achtet in den technifizierten Kreißsälen keiner mehr auf diesen kleinen Zettel und schwupp ist er verschwunden. Schade, wir haben unsere Gebrauchsanweisung verloren und stehen mitsamt unseren Eltern vor dem undurchschaubaren Rätsel der Menschwerdung. Eine tragische Sichtweise würde sich jetzt auftun, wenn nicht, ... ja wenn nicht der Philosophieunterricht am Ernst-Mach-Gymnasium in Hürth hier Hilfestellung bieten würde.
Wir arbeiten an der Gebrauchsanweisung. Im Fach Praktische Philosophie in der Sekundarstufe I und im „ordentlichen“ Fach Philosophie in der Oberstufe versuchen wir den wesentlichen Fragen des Lebens auf die Spur zu kommen. Dabei benutzen wir einige Kunstgriffe, die das alltägliche Leben oft infrage stellen: woher weiß ich, dass ich ich bin; was ist das Gute am Bösen und was das Böse im Guten; wie viel Sinn liegt im Unsinn; gibt es ein Paralleluniversum auf RTL2? Fragen über Fragen, auf die es noch nicht einmal sichere Antworten gibt. Gemeinsam ist diesen Fragehaltungen der Perspektivwechsel, die beherzte Sicht über den Tellerrand hinaus, das „Abenteuer Denken“ im Raum der Möglichkeiten und der unterschiedlichen Kulturen. Dabei gibt der Simulationsraum des Klassenzimmers Sicherheit auch auf unwegsamem Gelände. Fehler sind Chancen und anders als im Fach Mathematik dürfen zwei und zwei auch einmal fünf sein. Was zählt ist Vertrauen, Vertrauen in sich und in die Anderen. Philosophie ist dialogisch.
Dialog heißt jedoch auch Dialog mit sich selbst, mit meinen Ideengebern und mit meinen Einflüsterern, mit der Stimme im Bremserhäuschen und mit meinen Antreibern. Dialog aber auch zwischen Körper und Geist: ein überzeugender Standpunkt lässt sich ohne sicheren Stand, ohne Erdung nicht darstellen. Emotionen sind demnach auch keine Einbahnstraße, sie wirken rückbezüglich. Das limbische System lässt grüßen. Ein bisschen Gehirnbiologie muss sein.
Dialog aber auch mit unseren Altvorderen. Sie heißen Platon, Aristoteles, Hobbes, Locke, Bentham, Mill, Kant, Nietzsche, Sartre, Horkheimer, Wittgenstein, auch Konfuzius, Tschuang-Tse und Lao-Tse, alles Weltmeister im Fach Philosophie. Anders als viele Ergebnisse in der Geschichte der Naturwissenschaften sind ihre Aussagen auch heute noch aktuell. Hier hat die Wahrheit viele Gesichter, ähnlich, wie es unterschiedliche Gebrauchsanweisungen gibt. Jede ist maßgeschneidert und hat ihren Wert in sich solange sie sich vermitteln kann. Wir arbeiten dran!